Geleitwort von Joseph Culp

 

zu dem im November 2010 erschienenen Buch über "Walking-In-Your-Shoes" von Christian Assel


Walking-In-Your-Shoes ist ein transformativ wirkender Prozess. Diese Methode nutzt unsere natürliche Fähigkeit, unsere Grenzen zu überschreiten und Empathie zu empfinden, um eine tiefe Beziehung zu einem anderen Wesen herzustellen. Ich nenne das manchmal auch „spontane Empathie“. Diese Methode ist einfach, aber tiefgreifend: In einer Gruppe, die sich gegenseitig unterstützt, oder mit Hilfe eines Gruppenleiters erklärt jemand seine Absicht, eine andere Person zu sein, und beginnt, sich im Raum zu bewegen. Dabei verzichtet er auf Imitation oder kognitive Mutmaßungen und stimmt sich ganz auf die Energien und Gefühle seines Körpers ein. In einem Walking-Prozess erfährt man eine Bewegung, eine Art Verlagerung der Bewusstheit und bringt spontan Aspekte des Verhaltens, emotionale/psychologische Zustände und Lebensthemen der Person, die man „geht“, zum Ausdruck. Die dabei erkennbaren Informationen weisen einen hohen Grad an Treffsicherheit auf, ob der Geher nun etwas von dieser Person weiß oder nicht. Menschen, die „gegangen“ worden sind, berichten häufig, dass sie sich vorher noch nie so tief verstanden und akzeptiert gefühlt haben. Diejenigen, die andere gehen, erfahren ein Gefühl von Befreiung durch ein zeitweiliges „Heraustreten“ aus ihren oft einschränkenden Selbst-Konzepten. Die tiefgreifenden Folgen dieses Prozesses haben mich seit über 20 Jahren auf eine persönliche Übungs- und Entdeckungsreise geführt. Ich habe gesehen, wie sich das Leben von vielen durch Walking-in-your-shoes zum Positiven gewandelt hat. Hier nun endlich wird mit Christian Assels Buch die Schönheit und Weisheit dieses Prozesses für alle zugänglich.


Als der Psychologe John Cogswell und ich Mitte der 1980er-Jahre mit unseren Erforschungen dieser Körper/Seele-Technik begannen, fanden wir bald heraus, dass auch noch so viele Diskussionen nicht angemessen erklären konnten, was da eigentlich passierte. Cogswell hat es zuerst Walking-In-Your-Shoes genannt, nach dem alten Sprichwort der indianischen Ureinwohner: „Du kannst niemals einen anderen Menschen verstehen, bevor du nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bist.“ Wir übertrugen diesen Gedanken auf eine experimentelle Ebene und nutzten dafür einfach unsere Körper/Seele-Bewusstheit. Von den Ergebnissen waren wir überrascht: Wie kann jemand einfach die Absicht bekunden, einen anderen zu gehen, und spontan mit einer derartigen Genauigkeit das Innenleben des anderen aufzeigen? Dieses Phänomen erklären zu wollen ist bestenfalls spekulativ, und bis heute gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen als Beweis dafür, was in diesem Prozess abläuft. Wir haben auch großen Widerstand gegenüber der Praxis festgestellt, und zwar sowohl bei uns selbst als auch bei anderen, weil die Aktivität, in der Rolle eines anderen zu gehen, einige sehr grundsätzliche Glaubenssätze über die Natur der Realität in Frage stellt. Dieser Widerstand, so haben wir später eingeräumt, kann es schwer machen, die Praxis von WIYS gedeihen zu lassen. Über eine Sache waren Cogswell, ich und andere Therapeuten, Schauspieler, Künstler und Laien, die bei der Entwicklung dieses Prozesses geholfen haben, uns einig, nämlich über die wohltuenden Effekte der Praxis: Menschen haben anderen Menschen geholfen, ihr Bewusstsein zu transformieren, und zwar mittels einer Art von gefühlsmäßiger Einstimmung und Spiegelung. Sowohl der Geher als auch die Person, die gegangen wird, haben sich lebendiger, mitfühlender und darin gestärkt gefühlt, wahrhaft sie selbst zu sein. Wir erlebten Durchbruch auf Durchbruch. Wir konnten unsere Mütter gehen, unsere Väter, unsere Ehepartner und Lebensgefährten, unsere Freunde und Angestellten sowie unsere Vorfahren, die uns heute immer noch beeinflussen. Über zwei Jahrzehnte haben Cogswell und andere Therapeuten die Methode im Bereich der Psychologie, Wirtschaft, Konfliktlösung und gesellschaftlichen Umstrukturierung weiter erforscht, während ich mit Gruppen darstellender Künstler weiter daran arbeitete. Außer den Zielen des therapeutischen Modells stellte ich fest, dass das Walking auf alles angewandt werden konnte, was man erfahren wollte: nahestehende Menschen, Freunde, Feinde, Verwandte (noch lebende oder schon verstorbene), fiktive Charaktere, Archetypen, Träume, Zukunftspläne und Ideen. Heute betrachte ich das Walking als ein fundamentales Werkzeug für den Schauspieler, Autor und Regisseur, weil es sowohl persönliches als auch kollektives unbewusstes Material auf ganz natürliche Weise durch den Künstler erkennen lässt. Das Walking gibt dabei Informationen für die direkte künstlerische Arbeit, wodurch diese eine persönliche Verbindung sowie eine tiefere Resonanz erhält. Wie es genau funktioniert, wird Gegenstand von Forschung und Untersuchung sein. Wir haben festgestellt, dass ausgiebige Gespräche über metaphysische Theorie ebenfalls erforderlich sind. Aber lassen wir mal die ganze intellektuelle Diskussion beiseite: Nachdem ich Hunderte von Walks gesehen und geleitet habe oder selbst gegangen bin, kann ich mit größter Bestimmtheit sagen, dass der Walking-Prozess funktioniert. Er hilft Menschen dabei, Zugang zu ihrer Gabe für „spontane Empathie“ zu bekommen, weckt Mitgefühl und Selbstbestärkung und hat das Potential, menschliches Leben zum Besseren hin zu transformieren.


Zusätzlich dazu, uns dabei zu helfen, unsere Wunden zu heilen, unsere Selbstachtung zu erhöhen und die Kommunikation in Familie und Gesellschaft zu erleichtern, brauchen wir eine Praxis wie Walking-In-Your-Shoes als Herausforderung für unsere erkenntnistheoretische Sicht. Im Kern dieses Prozesses liegt für uns die Möglichkeit, aus unseren einschränkenden Selbst-Konzepten auszubrechen, um zu unserer tieferen Natur der Liebe, des Mitgefühls und dem zu gelangen, was Buddhisten als „Spiegelgleiche Weisheit“ bezeichnen. Es geht darum, über unsere starren Konzepte von unserer Realität und – was noch wichtiger ist – von uns selbst hinauszugelangen. Es geht darum, zumindest zeitweise loszulassen von dem Glauben, den wir alle in uns tragen, dass wir irgendwie von Natur aus getrennt sind. Die Quantenphysik und die höchsten Lehren aller Religionen erklären das Gleiche: Getrenntheit ist eine Illusion. Wir sind alle eins, und wir sind alles, was ist. Es kommt nicht darauf an, was du glaubst. Es geht über das Ego hinaus, das an Dinge glauben muss. Es geht nicht darum, übersinnliche Fähigkeiten zu haben – und falls doch, dann sind es dieselben übersinnlichen Fähigkeiten in uns allen. Natürlich können wir uns gegenseitig sein ... weil wir es bereits sind.


Jetzt aber gibt es eine gute Nachricht! Christian Assels Buch über Walking-In-Your-Shoes stellt einen Höhepunkt von Jahren des Lernens und der Praxis vieler Menschen mit dieser kraftvollen Methode dar. Christian Assels jahrelange Erfahrung in der Arbeit der Familienaufstellung bietet die perfekte Grundlage für WIYS, um zu wachsen und zu gedeihen und seinen Platz in unserer Welt zu finden. Dieses wichtige Buch markiert, was ich mir als Neuanfang in der modernen Psychologie und gegenwärtigen Kultur erhoffe, worin transpersonale Methoden praktisch genutzt und sogar alltäglich werden. Ich stelle mir eine Welt vor, in der Walking-Gruppen so alltäglich sind wie Zwölf-Schritte-Programm [Methode, um von Zwängen aller Art loszukommen], Yoga-Kurse oder Fitness-Center, doch mit dem Unterschied, dass Menschen hier ihre angeborene Gabe für Mitgefühl üben, ihre inneren und äußeren Konflikte lösen und sich gegenseitig darin bestärken können, sich lebendiger zu fühlen. Christian Assels Buch ist der erste „Schritt“ in einem langen „Walk“, den wir alle gemeinsam machen können, um unsere Welt durch diese Art von Dienst zu transformieren. Ich hoffe, dass es diejenigen von Ihnen inspiriert, die nach einer Erfahrung von größerer Tiefe und Lebendigkeit suchen. Ich hoffe, dass es andere dazu inspirieren wird, diese Methode zu praktizieren und ihre eigenen Walking-Gruppen überall in der Welt zu gründen. Vielleicht wird es Sie dazu inspirieren, so wie ich auf eine Reise zu gehen und zu lernen, dass der ganze Körper Seele ist. Mit dem einfachen Vorsatz, in einer Walking-Rolle zu gehen, und mit Hingabe an die Leere können Menschen andere Menschen, andere Welten und die tiefen Bereiche der menschlichen Psyche erfahren.


Joseph Culp

Santa Monica,

(Kalifornien, USA)

im August 2010