Walk "Krankheitsbild Schizophrenie"

Bericht eines Studien-Kurses "Walking-In-Your-Shoes" mit Christian Assel

 

Ich nehme die Rolle an und fühle mich ein.

 

Sehr schnell verspüre ich einen Drang nach hinten und gehe rückwärts, immer drängender. Aber es gibt auch etwas, was mich nach vorne drängt. Ich habe dann das Gefühl, ich müsste nach vorne, aber es zieht, nein, es schiebt mich nach hinten. Ein Druck auf der Brust, der nach hinten schiebt, aber von hinten schiebt es mich nach vorne, und beides droht zu kreuzen, da kommt vorne hinter hinten und hinten vor vorne, ich werde so was wie irgendwie zwischen zerquetscht und zerrieben, dazu löse ich mich fast auf. Da rette ich mich an den Boden, da kann ich liegen. Ich sinke zwar auch ein und löse mich dann halbwegs im Boden auf, aber da ist auch der Kontakt mit einem zuverlässigen Material, dem Parkett, das mich auch nicht mit Fragen bedrängt. Zwischenzeitlich ist es auch schön, halbwegs im Boden zu verschwinden, da können mich die anderen nicht verfolgen, in den Boden hinein. Da bin ich sicher. Erstmal. Dann ist aber diese Symbiose oder das Verschmelzen mit dem Boden auch nicht gut, und die Beine blähen sich so merkwürdig auf. Christian fragt, wie es kommt, dass ich so schnell hingefallen bin. Die Frage überfordert mich. Der Rest Ragna in mir weiß, dass das zum Walk gehört, dass ihn interessiert, was mit mir ist, aber ich kann aus der Rolle heraus nicht sprechen. Da ist Angst, Wut, erste Ansätze zu schreien, aber ich darf nicht schreien, ich darf nicht, ich will in den Boden hinein, aber auch nicht, will mich auflösen, habe Angst davor. Ich robbe weg, in Richtung Ecke. Dann habe ich das Gefühl, dass mein Arm bis zum Podest  auf der anderen Seite des Raumes reicht. Die Entfernungen verschwimmen vollkommen. Die anderen sind real weit weg, aber mit dem Arm reiche ich an das Podest, das gleichzeitig auf der anderen Seite von den anderen und bei mir ist, also, mein Arm geht irgendwie durch die anderen und den ganzen Raum hindurch, aber irgendwie auch nicht. Mit Spaltung hat das nicht wirklich zu tun, eher mit einem Auflösen, alles wird so amorph.

 

Und dann dieses wabernde Ding in mir, immer rauf und runter, vom Schambein zur Kehle und zurück und wieder hoch und runter und hoch und runter. So eine Mischung aus Ameisen und Feuer in Wackelpudding in einem Gestaltwandlerding, das zum Mund hinaus will, aber ich bin sicher, wenn das passiert, dann würde die Welt untergehen und ich wäre schuld. Christian fragt mehrfach nach, ob ich es nicht rauslassen könnte. Es ist eine ganz große Anstrengung, mich dazu durchzuringen, es zu versuchen. Da ist auch immer noch der schwache Kontakt zur eigentlichen Ragna, und ich weiß nicht, ob es ohne den möglich wäre. Der ist zwar lose, aber da ist halt noch so eine ganz ganz dünne Leitung, über die ich dann immer noch ein paar Auskünfte an Christian raus schieben kann, wogegen die Rolle sich wehrt, diese Fragen, das ist mir alles zu viel. Ich müsste ja den Mund fest zupressen, damit das wabernde Ding da nicht ausbricht. Schließlich schreie ich, aber erst müssen die anderen weiter weg von mir. Trotz allem ist der Schrei dann tatsächlich erleichternd. Auch aus der Rolle heraus. Da war einerseits ein unglaubliches Glücksgefühl, dass die anderen noch leben, ich kann es auch gar nicht glauben, muss mehrfach nachfragen. Dann ist ganz viel Trauer und auch ganz viel Angst. Und es ist so ein ganz komisches Gefühl, ich weiß, dass die anderen real sind und leben. Aber was ich bin, das weiß ich nicht, und ich weiß auch wirklich nicht, ob ich lebe, oder was ich da eigentlich tue. So eine merkwürdige Zwischenwelt.

 

Dann gehen die anderen zurück auf die Stühle, da kommt Reden und Lachen, und dann kommt diese Meute, so eine Mischung aus mittelalterlichem Mob, ja, Hexenverfolgung ist auch dabei, Teufel, die Engel waren und umgekehrt, alles irgendwie weiß aber dabei dunkel, und dieses Schreien und Kreischen, wie sie mich auslachen! Da hilft es auch nichts, mich in der Wand aufzulösen. Ganz leise ist da das Wissen, die anderen sind real und leben noch. Und sie sind  tatsächlich weggegangen, als ich es gewollt habe. Und sie haben mir wirklich geantwortet, nein, sie hören die Meute nicht. Dann könnte ich ja gucken, oder? Wobei ich mir nicht ganz sicher bin, wie viel Ragna da schon wieder dabei ist, die noch ganz leise weiß, es ist die Rolle. Ganz wichtig für mich ist, dass Ihr meine Fragen beantwortet habt, aber ansonsten nichts kam. Keine Anweisungen, was ich sehen müsste oder nicht usw. Ich konnte mich da ganz alleine in meinem Tempo an den Gedanken gewöhnen, dass es sein könnte, dass Ihr die wirklich nicht seht und hört.

 

Ich liege inzwischen ganz in der Ecke, robbe mich langsam an der Wand hoch bis ins Sitzen, sehe, da sind Steckdosen, eine TV-Dose? Ich habe den Impuls, das Kabel aus meinem Nabel zu ziehen (ich weiß, dass ich da ein Kabel raus ziehen kann) und einzustöpseln, damit ich das Fernsehprogramm ausstrahlen kann. Aber da ist ja noch die Meute, und die anderen sagten gerade, dass sie die nicht hören.

 

Als ich dann schaue, merke ich, die sind wirklich nicht da, die aus der Meute, die die Meute bilden. Als ich das Gesicht zur Wand hatte, da war ich sicher, dass sie da sind. Aber als ich mich dann traue zu schauen, da war es nur die Decke. Und in einiger Entfernung Ihr. So, dass ich Euch sehen kann, dass ich aber Sicherheitsabstand habe.

 

Es ist erleichternd. Erleichternd, dass die Meute nicht da ist, diese Menge, die ich nicht beschreiben kann, die mich aber verfolgt, egal wohin ich krieche, die mich auch sieht, wenn ich im Boden mich auflöse, diese Meute, die ich doch gehört habe und die ich hinter mir gesehen habe, als ich das Gesicht zur Wand hatte.

 

Ganz langsam arbeite ich mich soweit raus aus der Rolle, dass ich wieder Kontakt aufnehmen kann zu Christian. Erstmal verbal, von meiner Ecke aus, noch brauche ich Abstand. Aber ich kann schon schauen, die Realität wieder wahrnehmen. Und ich weiß auch wieder, dass es in meinem Nabel kein Kabel gibt, das ich in eine TV-Dose einstöpseln könnte.

 

Danach frage ich mich, inwieweit da meine eigenen Traumatisierungen reingespielt haben, denn die hinterlassen ja auch manchen merkwürdigen Effekt. Ich habe dann aber gemerkt, dass es da Unterschiede gab. Die Ängste und Befürchtungen, die hatten schon ihre Wurzeln in meinen Traumatisierungen bzw. Kindheitserfahrungen, als mir auch immer wieder die Schuld für alles mögliche zugeschoben wurde. Die Themen kamen also von daher. Aber die "Ausführung" war anders. Gesteigert und verzerrt bis zum Realitätsverlust. Statt einen Wutanfall meiner Mutter zu befürchten, war ich ja überzeugt, wenn ich diesen Waberdingschrei herausließe, ginge die Welt unter. Bei Flashbacks oder so finde ich zurück, indem ich mich in der Realität verankere. Ich mache dann auch etwas, was ich für mich "Abgleichen" nenne - ich fühle in den Körper hinein und schaue hin sodass ich die verschiedenen Sinneskanäle aneinander anpassen kann. Ich kann auch meine innere Welt gut von der äußeren unterscheiden. So was ging alles nicht mehr während des Walks. Da habe ich wirklich nicht mehr auseinander gekriegt, was was war, da war nur noch dieser ganz ganz dünne Kontakt zur Realität, an dem ich mich dann am Ende wieder ins Hier und Jetzt gezogen habe. Der Kontakt war zwar dünn, aber immerhin war dabei das Wissen, dass es ein Besuch im Krankheitsbild war, eine Art Forschungsreise, von der ich zurückkehren würde. Ich möchte gar nicht wissen, wie sich jemand fühlt, der dieses Wissen nicht hat, aber in so einer Situation steckt.

 

Wenn es um meine Traumen geht, dann kann ich auch zuordnen, ich weiß dann, was woher kommt und so. Während des Walks, da wusste ich nicht, was woher kommt, da waren nur diese ganzen Verzerrungen und dieses Wabern und dieses Auflösen und Umstülpen, gegen das ich mich ja ganz fest an die Wand oder den Boden pressen musste. Wenn es um Traumen geht, tut mir auch Kontakt zu anderen Menschen gut, wenn auch bitte wohldosiert. Aber da geht es z.B. im Gespräch oder so, während mir beim Walk alles zu viel wurde, diese Fragen und so, hat mich alles überfordert. Ich hatte auch kaum eine Möglichkeit, das, was ich da "wahrnahm", zu beschreiben. Das ließ sich nicht mit mir bekannten Worten beschreiben, weil da soviel sich überlagerte und alles durcheinander ging. Schizophrenie und Trauma sind also zumindest nach meiner Wahrnehmung im Walk unterschiedlich.

 

Was mir beim Walk in der Rolle geholfen hat, war, dass vor allem Christian ganz ruhig und sachlich auf meine Fragen geantwortet hat, ohne zu kommentieren, ohne zu äußern, dass das ziemlich realitätsfern war, was ich da erzählte, aber dass er doch seine eigene Wahrnehmung dagegen gesetzt hat. Ja, nach meinem Schrei lebten die anderen noch. Nein, sie hörten die Meute nicht. Jeglichen Versuch, sich um mich zu kümmern oder auch nur in näheren Kontakt als über mehrere Meter hinweg zu kommen, hätte ich als Bedrohung erlebt. Aber zu merken, ich werde mit dem ganzen Irrsinn akzeptiert, gab mir die Möglichkeit, mich auf eine Überprüfung einzulassen.